Tacheles Wpt Newsletter 07.12.2015
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
unser heutiger Newsletter zu folgenden Punkten.
1. LSG NRW verurteilt Jobcenter Wuppertal zur rechtmäßigen Unterkunftskostengewährung
+++ Zur Sicherung von Ansprüchen für das Jahr 2014 müssen dieses Jahr noch Überprüfungsanträge gestellt werden +++
Das Jobcenter Wuppertal hat bisher die »angemessenen Unterkunftskosten« an der Nettokaltmiete orientiert, das Landessozialgericht NRW (LSG) hat diese Praxis mit Urteil vom 29.10.2015 für rechtswidrig erklärt und das Jobcenter dazu verurteilt, die Unterkunftskosten an der Bruttokaltmiete zu orientierten. Ferner hat das LSG festgestellt, dass lediglich bis Ende 2012 ein »schlüssiges Konzept« zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten vorgelegen hat. Danach sind die behördlichen Ermittlungen zur Angemessenheit nicht schlüssig und dadurch ebenfalls rechtswidrig.
Bisher sind in Wuppertal die Unterkunftskosen bei Wohnungen von 40 – 90 qm von netto-kalt 4,85 €/qm berücksichtigt worden (reine Grundmiete).
Das LSG hat nunmehr geurteilt, dass die jeweiligen Werte des Betriebskostenspiegel des Landes NRW dazu zu rechnen sind und so eine Bruttokaltmiete von Grundmiete + Betriebskosten zu begründen ist. Die Werte im Betriebskostenspiegel NRW betragen ab dem 1.9.2015 2,19 € pro qm.
Es ist somit für diese Wohnungsgröße eine Bruttokaltmiete (Gesamtmiete, ohne Heizung) von 7,04 €/qm zu berücksichtigen.
Das Urteil des Landessozialgerichts hat Folgewirkung für über 50.000 Wuppertaler Bürger im Hartz IV-/Sozialhilfe & Grundsicherungsbezug/ sowie Bezieher für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, bis hin zur Jugendhilfe. Denn in allen diesen Systemen wurde diese für rechtswidrig erklärte Verwaltungspraxis umgesetzt.
Umfassende Infos dazu, das Urteil, Erklärungen dazu, die neuen KdU Werte für Wuppertal sind zu finden unter: http://wuppertal.tacheles-sozialhilfe.de/startseite/
Unsere heutige Pressemitteilung dazu hier: http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Tacheles_Pressemitteilungen/Tascheles_KdU_PM_07.12.2015_mod.pdf
2. Zur Sicherung von Ansprüchen für das Jahr 2014 müssen dieses Jahr noch Überprüfungsanträge gestellt werden
Da nicht zu erwarten ist, dass die Wuppertaler Sozialverwaltung freiwillig alle rechtswidrigen Bescheide von Amtswegen korrigiert (mit Ausnahme der neue OB Andreas Mucke gibt eine entsprechende Weisung) muss von den Betroffenen die in der Vergangenheit zu geringe Unterkunftskosten anerkannt bekommen haben ein Überprüfungsantrag gestellt werden. Insofern es sich um zu geringe Leistungen für das Jahr 2014 handelt muss der Überprüfungsantrag dieses Jahr noch gestellt werden.
Wir bitten daher alle Beratungsstellen informiert darüber die Betroffenen und drückt ihnen die Überprüfungsanträge in die Hand. Bitte dabei nicht vergessen, in den Ämtern, allen Voran im Jobcenter geht viel verloren, daher müssen die Anträge mit Zugangsbeweis beim Amt eingehen.
Für Hartz IV-Bezieher gibt es diese hier: http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Wuppertal_Kommunales/KdU_UE-Antrag_SGB_II.rtf
Für Sozialhilfe/Grundsicherungsbezieher gibt es diese hier: http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Wuppertal_Kommunales/KdU_UE-Antrag_SGB_XII.rtf
3. Beratungszeiten im Tacheles in diesem Jahr
Wegen des zu erwartenden Andrangs haben wir dieses Jahr immer Mi + Do offene Sozialberatung, die letzte Beratung findet am 23. Dez. statt. Jeweils bitte bis spätestens 8 Uhr da sein. Im Jahr 2016 geht die Beratung wieder ab dem 6.1.2016 wieder los.
4. BSG-Urteil zu Unionsbürgern – diese haben jetzt doch Ansprüche auf Existenzsicherung
Am 3.12. hat das Bundessozialgericht zu Leistungsansprüchen von Unionsbürgern geurteilt.
Aus unserer Beratung können wir berichten, dass zu uns eine Reihe von Unionsbürgern kommen, denen der Sozialleistungsanspruch vom Jobcenter versagt wurde. Dazu möchten wir das absolut positive, taufriste Urteil des BSG wie folgt zusammenfassen:
Das BSG stellt damit klar, dass die unsäglichen Leistungsausschlüsse von Unionsbürgern im SGB II und SGB XII so nicht haltbar sind und, wenn keine Aufenthaltsgründe im SGB II vorliegen, spätestens nach sechs Monaten ein Leistungsanspruch nach dem SGB XII besteht.
Im Detail:
+ wenn neben Arbeit, im nicht absolut geringfügigen Umfang, weitere Aufenthaltsgründe in Deutschland vorliegen, so beispielsweise ein Aufenthaltsrecht der Kinder durch Eingliederung in das Schulsystem und Durchführung einer Ausbildung, dann besteht ein SGB II Anspruch bei Vorliegen von Hilfebedürftigkeit.
+ Bürger aus EFA – Staaten (dies sind Bürger aller Staaten, die bereits vor dem Jahr 2004 der Europäischen Union angehört haben, außer Österreich und Finnland, sowie Estland, Malta, die Türkei, Island und Norwegen) haben einen regulären SGB XII – Leistungsanspruch ab dem ersten Tag des Aufenthalts in Deutschland, wenn sie sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten und dem Grunde nach von SGB-II-Leistungen ausgeschlossen sind. Die Tatsache, dass sie gesundheitlich erwerbsfähig sind, steht dem nicht entgegen.
+ Bei Nicht EFA – EU-Bürger muss bei einem SGB-II-Ausschluss im Rahmen des Ermessens über SGB-XII-Leistungen entschieden werden. Im Falle eines verfestigten Aufenthalts – über sechs Monate – ist dieses Ermessen jedoch aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG in dem Sinne auf null reduziert. Hier ist Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen. Die Tatsache, dass sie gesundheitlich erwerbsfähig sind, steht dem nicht entgegen.
+ Der früher beim Jobcenter gestellte und abgelehnte oder nicht bearbeitete SGB II - Antrag löst rückwirkend einen SGB XII – Anspruch aus. Dieser SGB XII-Anspruch ist rückwirkend bis max. Januar des jeweiligen Vorjahres geltend machbar.
Das BSG stellt sich mit diesem Urteil gegen die absolut restriktive Leistungsverweigerungs-praxis des deutschen Gesetzgebers und des EuGH. Es bestätigt den vom BVerfG entwickelten unabdingbaren Gewährleistungsanspruch auf Existenzsicherung.
Jetzt geht es mir aber um drei Dinge:
1. Die vielen Unionsbürger die in Folge des EuGH Urteils vom 15.09. spätestens nach sechs Monaten des SGB II-Leistungsbezuges den SGB II-Anspruch verloren haben, diese haben jetzt alle einen SGB XII-Leistungsanspruch. Sie sollten nun alsbald zum Sozialamt gehen und Leistungen beantragen. Hierbei ist aber zu beachten, dass andere Vermögensgrenzen existieren, so 1.600 € für unter 60-Jährige, 2.600 € für über 60-Jährige, zzgl. 614 € für Ehegatten und 256 € jede weitere Person (§ 1 Abs. 1-Vo zu § 90 SGB XII), sowie dass kein Kfz geschützt ist.
2. Das BSG hat klargestellt, dass die behördliche Kenntnis der Notlage beim JC, also mit der Ablehnung der SGB II – Leistungen, im Sinne des § 18 Abs. 1 SGB XII rückwirkend anspruchsbegründet für SGB XII-Leistungen ist. Diese sind erst ausgeschlossen mit Ablauf des Januar des Vorjahres (§ 118a SGB XII) oder, wenn kein Leistungsanspruch vorlag, durch Wegfall der Hilfebedürftigkeit.
3. Die explizit vom BSG hingewiesene Rückwirkung ist für Betroffene, aber auch Klinken oder Frauenhäuser wichtig, die so rückwirkend die Chance haben, ihre Leistungen noch zu erhalten. Im Zweifel wäre hier über die Einrichtungen innerhalb der nächsten 3 Wochen nach dem BSG – Urteil ein sog. Nothelferantrag nach § 25 SGB XII von den Kliniken oder Frauenhäusern und etwaig weiteren Einrichtungen selbst zu stellen.
Dazu folgende Links: Der Terminbericht des BSG: http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=tm&Datum=2015&nr=14080
Bericht in der Welt dazu: http://www.welt.de/politik/deutschland/article149593118/EU-Auslaender-koennen-deutsche-Sozialhilfe-bekommen.html
und die Kommunen bekommen kostenmäßig Panik aus der FAZ: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/milliardenbelastung-fuer-staedte-und-kreise-durch-sozialhilfe-fuer-eu-auslaender-13949002.html#Drucken
(sorry, für den umfangreichen Text, war aber notwendig)
Zusammengefasst, Unionsbürger die nach sechs Monaten Hartz IV-Bezug diesen nun versagt bekommen, haben auf jeden Fall einen Sozialhilfeanspruch. Dieser kann ggf. auch rückwirkend geltend gemacht werden.
Auch hier bitten wir um Aufklärung und Beratung an die etwaig Betroffenen.
So, das war es für heute.
Mit freundlichen Grüßen
Harald Thomé
Tacheles e.V. / Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein
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