Liebe Mitglieder und Freunde von netzwerkB,
nachfolgend eine Pressemeldung vom Freitag, 2. Mai 2014 - TAZ.DIE
TAGESZEITUNG:
http://netzwerkb.org/2014/05/02/zeit-das-licht-auszumachen/
Zeit, das Licht auszumachen
REFORMPÄDAGOGIK Die Odenwaldschule muss geschlossen werden - sie ist zum
Symbol der institutionalisierten sexualisierten Gewalt geworden
Ein Lehrer hat dokumentierte sexualisierte Gewalt, vom Volksmund gerne und
falsch Kinderpornographie genannt, auf seinem Computer gespeichert. Die
Polizei kommt, beschlagnahmt das Material, die Schule kündigt dem Lehrer,
im Nachklapp werden dem Lehrer weitere Grenzüberschreitungen vorgeworfen.
Die Staatsanwaltschaft prüft nun den Vorfall und den neuen Vorwurf.
Das hätte an jeder anderen Schule in Deutschland auch passieren können.
Ist es aber nicht. An jeder anderen Schule hätte die Schulleitung um sich
selbst und der Institution wegen den Vorfall der übergeordneten Behörde
gemeldet, hätte die Vorkommnisse diskutiert und sich selbstkritisch
auseinandergesetzt. Nicht so an der Odenwaldschule.
Stattdessen lässt die Schule das vom Landrat gesetzte Ultimatum, sich bis
vergangenen Freitag zu erklären, verstreichen und musste zum
Krisengespräch bei der übergeordneten Behörde antreten. Strengere
Auflagen sollen nun die Schule auf Kurs bringen. Monatlich rapportieren
soll sie. Eine Strafarbeit also, wie sie eigentlich gar nicht zum Konzept
der reformpädagogischen Schule passt. Vielleicht ist der nächste Schritt
ja Nachsitzen.
Reformpädagogik als solche
Anfang März erschien der Tagungsband "Reformpädagogik - wie weiter?" in
der Verlagsgruppe Beltz, herausgegeben von den Professoren für Pädagogik
Jürgen Oelkers und Damian Miller. Eigentlich ein gewöhnlicher Vorgang.
Experten einer Disziplin finden auf einer Tagung zusammen, so wie in diesem
Fall im Herbst 2011 im schweizerischen Kreuzlingen und diskutieren über
die Frage, in wie weit die Reformpädagogik als solche für die massenhafte
sexualisierte Gewalt an der Odenwaldschule verantwortlich gemacht werden
kann oder nicht. Das Ergebnis war niederschmetternd für die
Odenwaldschule. Die Gurus dieser Ideologie waren Grenzüberschreiter, die
Ideologie begünstigt die Grenzüberschreitungen und die Berichte aus der
Praxis bestätigen die Erfahrung der Grenzüberschreitung. Worüber soll
nach dieser Erkenntnisflut eigentlich noch diskutiert werden? Und wozu? Und
mit wem? Die Verantwortlichen der Odenwaldschule leben in ihrer eigenen
Realität, und die anderen sind sich weitgehend einig.
Das "Familienprinzip", nachdem ein oder mehrere Lehrerinnen und Lehrer mit
ihren Schülerinnen und Schülern unter einem Dach in sogenannten
"Heimfamilien" leben, begünstigt Grenzüberschreitungen. Darüber sind
sich alle einig. Außer die Vertreter der Odenwaldschule. Das
Familienprinzip ist nach wie vor tragendes Element der Internatspädagogik.
Eine Einladung für Pädokriminelle. Die Reformpädagogik proklamiert die
"Nähe zum Kind". Näher zum Kind als auf der Odenwaldschule geht nun
wirklich nicht mehr.
Der Tagungsband erschien Anfang März, doch die Rechtsanwälte der
Odenwaldschule fanden erst Wochen später, ausgerechnet zum gleichen
Zeitpunkt, zu dem über die neuesten Vorfälle in den Medien berichtet
wurde, einen Weg, den Tagungsband aus dem Verkehr ziehen zu lassen. Das
Buch ist gegenwärtig nicht erhältlich. Zufall?
Die Odenwaldschule ist zum Symbol der institutionalisierten sexualisierten
Gewalt geworden. Wer schickt eigentlich dort noch seine Kinder hin? Und
wozu? Um das Stigma der "Missbrauchsschule" mit sich herumzutragen? Die
"sicherste Schule Deutschlands" sollte sie nun sein, die Odenwaldschule.
Und nun? Die Fortsetzung des Schulbetriebs wäre nicht nur ein Schlag in
die Gesichter der aus früheren Zeiten Betroffener, sondern auch die
fortgesetzte Gefährdung der Schülerinnen und Schülern der Gegenwart.
Zunächst hieß es, es hätte keine Übergriffe auf Schülerinnen oder
Schüler gegeben. Als wäre damit alles gut. Wie fühlt es sich denn wohl
als Kind oder Jugendlicher an, wenn man aus den Osterferien kommt und das
"Familienoberhaupt" ist aus seiner Wohnung
ausgezogen? Weil ihm gekündigt wurde. Und alle sind wieder aufgeregt, weil
"so etwas" doch nie wieder vorkommen sollte. Offensichtlich ist der
betreffende Lehrer vollständig unter dem Radar der Präventionsarbeit der
Odenwaldschule hindurchgeflogen.
Man muss Kinder vielleicht nicht unbedingt hassen, um sie auf die
Odenwaldschule zu schicken, aber diese Entscheidung trifft sich natürlich
viel leichter, wenn sie einem ziemlich egal sind.
Fortbestand als Zumutung
Die Odenwaldschule zu schließen wäre nicht nur ein verantwortungsvoller
Schritt gegenüber den gegenwärtigen Schülerinnen und Schülern, es wäre
auch ein Zeichen an alle Beteiligten, dass in Deutschland zwar vieles
möglich ist, aber eben auch nicht alles. Das es eben doch noch Grenzen
gibt dafür, was sich eine pädagogische Einrichtung alles erlauben kann.
Vielleicht könnten die Betroffenen, die auf der Odenwaldschule
sexualisierte Gewalt erlebt haben, dann endlich aufatmen. Der Fortbestand
der Schule bedeutet für diese, dass die Wunden der Vergangenheit immer
wieder neu aufgerissen werden. Eine Zumutung. Eine Fortsetzung der
Beschädigungen. Eine Tragödie in endlosen Akten. Vielleicht flüchtet
sich die Schule wieder in die Einzeltäterlüge. Vielleicht auch in die
Lüge, dass das alles nicht so schlimm sei. Die Vergewaltigungen von
Schülern durch das Personal unter der Dusche sind ja zum Glück in den
1980ern verortet. Vielleicht verspricht die Schule aber auch einfach, dass
in Zukunft alles besser werden soll. Ab morgen. So wie der Trinker
verspricht, ab morgen mit dem Trinken aufzuhören.
Wie oft soll die Welle der medialen Empörung noch über das Land
schwappen? Bis zum nächsten Vorfall? Und dann? Dann können wir wieder das
Entsetzen, die Fassungslosigkeit, den Zorn der Betroffenen und die
Beschwichtigungen der Verantwortlichen der Odenwaldschule in der immer mehr
oder weniger gleichen Choreographie betrachten. Während diejenigen den
Preis dafür zahlen, dass Erwachsene verantwortungslos gegenüber
denjenigen handeln, denen gegenüber sie verantwortlich sind. Die
schutzbefohlenen Kinder. So war es in 100 Jahren Odenwaldschule. So ist es
heute.
Das Licht zieht die Motten an. So wie die Odenwaldschule die
Pädokriminellen. Es ist Zeit, dort das Licht auszumachen.
N. DENEF, A. HUCKELE
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Andreas Huckele ist auch Vertreter im netzwerkB. In seinem Buch "Wie laut
soll ich denn noch schreien?" beschäftigt er sich mit dem sexuellen
Missbrauch und mit seiner Zeit an der Odenwaldschule.
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Norbert Denef ist Vorsitzender des netzwerkB, des Netzwerks Betroffener von
sexualisierter Gewalt. Er setzt sich für die komplette Abschaffung der
Verjährungsfristen bei Sexualstraftaten ein.
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